Kirschenpflücker

Da stehen wir also unter Nachbars 7 Meter hohem Kirschbaum und sehen nichts als Kirschen. Eine Leiter haben wir, aber nur eine und viel zu kurz ist sie außerdem. Man kann auch hineinklettern in den Baum, aber die dicksten Dinger hängen wie immer ganz oben und da ist bei allem Klettern kein Rankommen.

Nun fing es heftig an zu regnen und wir mussten den Schauplatz erstmal räumen. Zurück in der heimischen Werkstatt kommt uns die Idee, wie ein verlängerter Arm funktionieren könnte, der in Verbindung mit der Leiter und einem Gerätestiel den Griff nach ganz oben erlaubt.

Gedacht, getan - es war alles dafür da. Im Windmühlenprojekt war die Rede von einer Drahtgitter-Dachbespannung, von der ich aber zugunsten einer Holzvertäfelung Abstand genommen hatte. Der Draht dafür war aber schon beschafft und lag seither in Form eines frustriert zusammengerollten Quadratmeters in einer Werkstattecke. Nun kam er endlich zum Einsatz.

Auf ein Stück Holz aus der Restekiste kamen zwei Kreise mit dem Zirkel, die Bandsäge machte daraus zwei Holzscheiben. Vom Gitter wurde ein Streifen von gut 15 Zentimetern abgezwackt, um die Holzscheibe gebogen und unten seitlich festgetackert. Zunächst aber mal nur mit zwei Tackerklammern, denn vor dem Schließen des Kreises musste noch die Halterung angebracht werden.

Diese besteht aus einem Stück Leiste, in das schräg nach oben ein 10mm Loch gebohrt ist. Da hinein kommt ein Rundholz gleichen Durchmessers, das vielleicht 10 Zentimeter dort heraussteht. Um es gleich zu sagen: Eine Gewindestange ist besser geeignet, weil stabiler, sie wäre beim nächsten Mal das Werkstück der Wahl. Die Leiste wird von innen an das Gitter getackert, wobei klar wird, warum das vorher noch nicht komplett angebracht wurde. Sobald das erledigt ist, kann das Gitter rings um die Holzscheibe getackert werden - ein kleiner Schraubstock tut dabei gute Dienste, indem er den Teller festhält.

Nun kommt der Auftritt des Seitenschneiders, der bei diesem kleinen Projekt die Hauptrolle spielt. Am oberen Rand der nun entstandenen Gitterdose wird jede zweite Querstrebe sauber ausgeschnitten und die darunter befindliche gleich mit. Dadurch entstehen kleine Zinnen mit dazwischen liegenden Lücken. Dieses Detail macht den Witz des Apparates aus und ist auch der Grund für die Wahl des Materials. Hält man nämlich das Gerät unter eine Kirsche, so liegt die Frucht im Innern der Dose und ihr Stiel liegt in der Lücke zwischen zwei Zinnen. Zieht man nun am Gerät, so passt die Kirsche nicht durch die Lücke, trennt sich vom Stiel und fällt in die Dose. Dabei ist es hilfreich, die Zinnen alle ein wenig nach innen zu biegen, denn das wirkt dem Drang der Kirsche entgegen, sich über die Oberkante wieder aus dem Staub zu machen.

Innerhalb einer halben Stunde waren zwei dieser Geräte fertig. Sie werden in handelsübliche Gerätestiele von Gartengeräte-Anbietern gesteckt und mit der daran befindlichen Madenschraube fixiert. Solche Stiele gibt es mit Teleskop-Vorrichtung und man erreicht damit auch den letzten Winkel eines Baumes. Nun ging es gleich an die praktische Erprobung im Kirschbaum, denn der Regenschauer war sinnvoll überbrückt und zu Ende.

Im Einsatz zeigte sich, dass die Wegnahme zweier Stege am oberen Ende genau die richtige Wahl war. Drei sind zu viel, weil sich die verbleibende Zinne durch ihre Länge zu leicht biegt. Einer ist zu wenig, weil die Kirsche nicht sicher im Topf liegt. Aber natürlich gab es trotzdem etwas zu optimieren. Viele Kirschstiele wollten nämlich partout nicht in die Lücke, sondern blieben trotz allem Schütteln und Wackeln hartnäckig auf einer Zinne liegen. Dem haben wir entgegen gewirkt, indem nun der oberste Steg jeder Zinne auch noch entfernt wurde und die beiden verbleibenden, nach oben stehenden Enden zur Innenseite gebogen wurden, wo sie sich schließlich trafen. Das dadurch entstehende Dreieck mit der Spitze nach oben bietet dem Stiel der Kirsche keine Auflagefläche mehr und er wird sauber in die nächstgelegene Lücke geleitet.

Außerdem fiel ein Kirschenpflücker mal samt Stiel auf die Erde, weil er schlecht an den Baum angelehnt war. Dabei brach prompt die dünne Verbindungsstange durch - daher der Tipp mit der Gewindestange. Kurz sollte sie aber sein, denn mit einigen Metern Verlängerung am Arm ist man für jedes Gramm Gewicht weniger dankbar. Das Gitter des Dosenkörpers erlaubt übrigens nicht nur die ständige Sichtprüfung, ob auch alle Kirschen im Töpfchen gut und nicht faul sind, sondern erfüllt noch eine weitere Funktion. Sofern nämlich ein Stiel gleich mit der Kirsche abreißt, ragt er fast immer seitlich aus der Dose heraus und kann bequemt abgezupft werden, da die Kirsche ja nicht mit hinaus kann. Eine Erkenntnis aus der Praxis, denn wie die roten Flecken auf dem Bodenteller belegen, entstanden die Bilder nach der praktischen Erprobung.

Nun haben wir den Keller voller Kirschmarmelade, unsere neuen Pflücker waren ein voller Erfolg. Sie haben nicht nur keinen Cent gekostet, sondern stehen auch noch geduldig im Regal und warten auf die nächste Saison, in der wir sie gleich von Beginn an dabei haben werden.

Nachtrag: In der darauf folgenden Saison wurde der Jahrzehnte alte Baum vom Sturm gefällt, als er voller reifer Kirschen war. Die mussten also nur noch eingesammelt oder in Brusthöhe gepflückt werden und unsere Pflücker blieben im Schrank. Aber das macht sie nicht schlechter, es gibt mehr als einen Kirschbaum im Ort.